Ein Tag im Sanka: „Idealismus gehört dazu“
Unterwegs mit den Einsatzkräften der BRK-Rettungswache
Einen Schluck kann Christian Steiner noch von seiner Buttermilch nehmen. Dann macht sich der Leiter der BRK-Rettungswache Zwiesel mit seinem Stellvertreter Martin Weber auch schon schnellen Schrittes auf den Weg in die Garage. Dort ist der Rettungswagen startklar. Weber ist an diesem Tag der Fahrer, deshalb übernimmt Christian Steiner die Bestätigung der Einsatzmeldung per Funk. Dann rollt der „Sanka“ auch schon hinaus zum nächsten Einsatz.
Um Punkt 6.54 Uhr haben Christian Steiner und Martin Weber ihre Zwölf-Stunden-Schicht begonnen. In den sechs Minuten vor der vollen Stunde – der so genannten Rüstzeit – haben die Einsatzkräfte Zeit, sich umzuziehen und ihre Schutzausrüstung in den Rettungswagen zu bringen, erklärt Martin Weber.
Am Tag gibt es imSchnitt elf Einsätze
Auch er kehrt an diesem Tag in grelloranger Hose und weißem Polo-Shirt aus der Umkleide zurück. Im Anschluss wird der Rettungstransportwagen, oder kurz RTW, überprüft. 18 Stück davon gibt es im Bereich der Integrierten Leitstelle (ILS) Straubing, zu der auch die Zwieseler Wache gehört. Pro Monat werden in Zwiesel im Schnitt 344 Einsätze abgewickelt. Das sind etwa elf am Tag, wie Christian Aulinger, stellvertretender BRK-Kreisgeschäftsführer, auf Nachfrage informiert.
Plötzlich geben die Piepser an den Gürteln von Christian Steiner und Martin Weber mehrere helle Pieptöne von sich. „Krankentransport“, teilt Martin Weber mit. „Schnittverletzung an der Hand, Brotmaschine, Marcumar-Patientin.“ 60 Sekunden haben die Sanitäter bei einem Notfall, dann müssen sie bereits auf dem Weg zur Einsatzstelle sein. „In der Regel brauchen wir aber nur ungefähr die Hälfte der Zeit“, sagt Weber. Beim aktuellen Einsatz muss es aber nicht ganz so hektisch hergehen, es handelt sich um einen Krankentransport. Getrödelt wird natürlich trotzdem nicht.
Eigentlich ist der Rettungswagen nicht für Krankentransporte zuständig, erklärt Christian Steiner während der Fahrt, die ohne Blaulicht und rasantes Tempo erfolgt. „Wenn aber alle anderen Krankentransportfahrzeuge belegt oder ab 19 Uhr nicht mehr im Einsatz sind, werden wir gerufen.“ Das ist nicht unbedingt eine optimale Lösung, sind sich die Notfallsanitäter einig. „Wir bringen halt nur eine Person rein“, erklärt Steiner. „Wenn wir gerade einen Krankentransport fahren und dann ein Notfall reinkommt, müssen wir zuerst den Transport abschließen.“
Manche sehen „Sanka“als kostenloses Taxi
Allerdings steht in der Wache auch ein Ersatzfahrzeug auf Abruf bereit. Das wird im Notfall von einem der zehn qualifizierten Ehrenamtlichen besetzt, die die 14 Hauptamtlichen der Wache unterstützen. Auch letztere werden in dringenden Notfällen zu Hause alarmiert. „Das versuchen wir aber zu vermeiden“, betont Steiner. Entsprechend unglücklich sind die Sanitäter, wenn der „Sanka“ als „kostenloses Taxi“ zum Krankenhaus missbraucht wird. „Da gibt es einige Negativbeispiele“, berichtet Steiner.
Aber es gebe sehr wohl auch Fälle, in denen es sinnvoll ist, dass der Krankenwagen zu einem Krankentransport ausrückt. Etwa im Falle der alten Dame, zu der die Einsatzkräfte jetzt unterwegs sind. Die 93-Jährige sitzt beim Eintreffen der Sanitäter in der Küche ihrer Wohnung, die Hand in ein Tuch eingewickelt, die Kleidung voller Blut. Ihre Tochter erklärt Christian Steiner und Martin Weber, was passiert ist. Während er und sein Kollege die Hand der Frau verbinden, macht sich der Wach-Leiter einen Eindruck vom Zustand der Patientin. Der sei stabil. „Die Frau nimmt ein Blutverdünnungsmittel“, erklärt er der Reporterin. Und an die Patientin gewandt: „Da blutet’s dann gleich ganz narrisch, gell.“
Die Frau nickt. Steiner muss laut sprechen, damit sie ihn hört. Die Seniorin schimpft kurz, weil sie von dem Tumult um sie herum nichts versteht. Ihre Tochter kann sie beruhigen. Während Martin Weber den Tragestuhl aus dem Fahrzeug holt, klärt Christian Steiner mit der Angehörigen alle wichtigen Informationen ab. Dann wird sie in dem engen Treppenhaus über den eingebauten Lift hinuntergebracht.
Martin Weber hilft der 93-Jährigen in den Tragestuhl. Auf der Straße vor dem Haus ist bereits die Trage vorbereitet. „Sie bemühen sich schon“, sagt die Tochter zur Reporterin, während die Sanitäter ihre Mutter für die Fahrt sichern. Die Frau kennt die Arbeit im Notdienst, ihr Mann war Sanitäter. „Man muss eh ein Idealist sein, wenn man das macht“, weiß sie.
Das bestätigen auch Christian Steiner und Martin Weber. „Idealismus gehört zum Rettungsdienst dazu“, sagt der Wach-Leiter. Auf dem Weg zur Arberlandklinik sitzt Christian Steiner hinten bei der Patientin. Die Dame taut im Gespräch langsam auf, sogar ein Lächeln stiehlt sich auf ihr Gesicht. Und genau solche Momente schaffen den nötigen Ausgleich zu den schlimmen Notfällen. „Man braucht das, um auch mal die Psyche zu reinigen“, beschreibt es Martin Weber.
Notarztdienst kann immer öfter nicht besetzt werden
In der Klinik angekommen, übernehmen die Mitarbeiter der Notaufnahme. Kaum dass Christian Steiner alles Wichtige geregelt und Weber die Trage wieder einsatzbereit gemacht hat, kommt schon die nächste Alarmierung: Ambulanzfahrt von Regen zum Ärztehaus. Nachdem der Patient überbracht worden ist, wollen die Sanitäter in der Apotheke Medikamente abholen. Doch das hat schon Kollege Markus Kroner erledigt.
Eigentlich ist der Rettungssanitäter als Fahrer für den Notarzt eingeteilt. Ein solcher steht an diesem Tag aber erst später zur Verfügung. „Das kommt leider immer öfter vor, dass der Notarztdienst nicht besetzt werden kann“, so Martin Weber. Wenn dringend einer benötigt wird, müsse ein Arzt von andernorts mit dem Hubschrauber eingeflogen werden.
Für die Zwiesler geht es erstmal zurück zur Wache. Das Frühstück, das mittlerweile ein Mittagessen geworden ist, muss aber wieder warten: Der Piepser am Gürtel macht sich erneut bemerkbar. Ein Blick auf den großen Bildschirm über dem Eingang zur Wache lässt Ernsteres vermuten: Herz-Kreislauf-Beschwerden. Eilig geht es zurück zum „Sanka“. Diesmal wird es durchaus holprig, hinten auf dem Notarztstuhl. Stellenweise mit Blaulicht und Horn fädelt Martin Weber den RTW durch den ohnehin schon engen Anger und über den Schlagloch-Parcours der Jahnstraße.
Als die BRKler bei der Patientin in Zwiesel ankommen, merken sie aber schnell, dass deren Zustand zum Glück nicht akut ist. Die Frau klagt über Beklemmung in der Brust. „Das schauen wir uns mal an“, sagt Christian Steiner. Dank der Stichwörter in der Alarmierung könnten sich die Einsatzkräfte zwar ein grobes Bild machen. „Aber das kann sich vor Ort als komplett anders herausstellen. Man muss immer auf alles gefasst sein.“ Auch deshalb untersuchen die Sanitäter die Frau vorsichtshalber mit dem EKG. Steiner erkundigt sich währenddessen genauer über die Symptome der Frau. Dann geht es wieder in die Notaufnahme.
Bekannte als Patienten ist „Fluch und Segen“
Der Einsatz der danach folgt, führt die Einsatzkräfte zu einer Bekannten von Christian Steiner. Die Krebspatientin leidet unter Atemnot. „Man kennt natürlich bei uns auf dem Land viele der Patienten. Und das ist Fluch und Segen zugleich“, erklärt Martin Weber. „Man hat dann einen besseren Zugang, aber natürlich geht es einem auch besonders nah.“ Auch Einsätze mit Jüngeren seien immer schwierig. „Wenn Kinder reanimiert werden müssen, gehört das zu den schlimmsten Einsätzen“, sagt Christian Steiner.
Wenn so etwas passiert ist, gehe jeder Sanitäter anders mit der Situation um. „Wir haben nach solchen Einsätzen immer Gespräche im Team“, erklärt der Wach-Leiter. Das helfe. „Die Kollegen sind wie eine Familie.“ Wenn das allein nicht reicht, gebe es auch übergeordnete Stellen, an die man sich wenden könne, etwa spezielle psychologische Unterstützung für Einsatzkräfte.
Einen schweren Unfall oder ähnliche Ereignisse gibt es an diesem Tag zum Glück nicht. „Da ist jeder Tag verschieden“, sagt Rettungssanitäter Markus Kroner beim Gespräch zurück in der Wache. Selten könne es auch vorkommen, dass es keinen einzigen Einsatz während der Schicht gibt. Zu tun gibt es aber immer genug, betont Martin Weber. „Wir haben auch viel Administratives und Wachttätigkeiten zu erledigen. Das sieht nur immer keiner.“
Aber es gibt auch Tage, an denen die Sanitäter ununterbrochen im Einsatz sind. Ganz so schlimm ist es an diesem Tag nicht. Doch als die „Schicht“ für die Reporterin beendet ist, bleibt nicht einmal Zeit für eine richtige Verabschiedung. Denn es flattert schon die nächste Alarmierung ins Haus. Hurtig machen sich Christian Steiner und Martin Weber auf den Weg zu ihrem „Sanka“. Und dann sind sie schon wieder auf dem Weg, um Menschen in Not zu helfen.